Studium

Der „Goldene Affe“ - Zwischen Zimtduft und Abschiedstränen

Projektbericht von Mascha A. Weidermann, Studentin der Sozialen Arbeit an der KH Freiburg

Ihre Hand zittert leicht, als sie die Schlüssel dreht. Ein leises Klicken, dann fällt die Tür ins Schloss. Sie bleibt einen Moment stehen und dreht sich noch einmal um. Vier Jahre voller Arbeit, Begegnungen und Geschichten liegen hinter ihr. Vor ihr erstreckt sich der leere Hof - still und verlassen. Nur eine Frage wird sie noch lange begleiten: Wie konnte es nur so weit kommen?

Die Wiehre – ein Stadtteil im Wandel

Zwischen alten Villen, großen Bäumen und dem leisen gleichmäßigen Surren der Fahrräder scheint die Wiehre im Herzen von Freiburg langsamer zu atmen. Wer hier lebt, kennt seine Nachbarschaft, grüßt im Vorbeigehen und bleibt mal zum Plausch stehen. Ein Stadtteil, geprägt von bildungsnahen Haushalten, wo hinter hohen Fenstern Menschen
sitzen, die viel wissen und belesen sind. Mitarbeitende der Universität, des Klinikums und Angestellte aus Kanzleien. Sie alle verdienen gut, sind gut ausgebildet und vor allem eins: sozial abgesichert. Und wer Glück hatte, kannte den kleinen Hinterhof in der Nägeleseestraße 8, wo ein unscheinbares Tor zu einem ganz besonderen Café führte. Inmitten von efeubewachsenen Mauern, flatternden Wimpelketten und einer liebevoll bemalten Fassade verbarg sich das Café „Goldener Affe“.

Ein Café wie kein anderes

Ein Name, der eher nach einer anderen Welt klingt als nach einem Kaffeehaus - und das war durchaus passend. Was hier aufgebaut wurde, war kein übliches Café. Es war ein Ort, an dem sich Menschen aus dem Viertel begegnen konnten. Ein lebendiger Hinterhof, der zum sozialen Treffpunkt wurde. Es war ein Ort, der anders war. Ein bisschen Dschungel, ein bisschen Märchen - und ganz viel Leidenschaft.

Dahinter: Boryana Hristova, eine kleine Frau mit großem Traum

Den Namen des Cafés wählte sie bewusst. Was für viele Menschen ein Rätsel war, war für sie eine Herzensangelegenheit. Schon früh lernte sie das Affenhaus auf dem Mundenhof, dem kleinen Tierpark am Stadtrand von Freiburg, lieben. Die lebendige Unruhe, das Spielerische im Gehege und die Neugierde der Tiere faszinierten sie. Als sie das leerstehende Hinterhofgebäude das erste Mal sah, erinnerte sie das verwinkelte, wilde Gemäuer an diesen Ort. Die 29-Jährige trägt ihre langen braunen Haare stets offen über die Schultern gelegt. Die zarte Wimperntusche und der dunkelrote Lippenstift sind perfekt aufgetragen.

Die hellgrüne Schürze sitzt locker um ihre Hüfte gebunden, als wäre sie spontan eingesprungen. Dabei ist sie das Herz des Ladens und ihre flinken Hände kommen nur selten zur Ruhe. Bis spät in die Nacht backt sie bis zu fünfzehn Kuchen und verwöhnt damit am nächsten Tag ihre Kundschaft. Wenn sie morgens die Fensterläden öffnet, legt sich sofort der warme Zimtduft wie ein Versprechen in die Luft und breitet sich im Hof aus - vertraut und tröstlich, als würde der Tag leise flüstern: Du bist hier richtig. Denn nach kurzer Zeit kennt Boryana die Menschen, die zu ihr kommen. Wer seinen Kaffee am liebsten mit Hafermilch oder Zucker trinkt. Es wurde ihr ein Anliegen, die Menschen zu sehen und ihnen das Gefühl von  Willkommen sein zu schenken.

Die gebürtige Bulgarin kam mit 17 Jahren nach Deutschland. Ihre Kindheit war geprägt von vielen Ortswechseln. Mit ihrer Familie und einem Rottweiler lebte sie zeitweise in einem Wohnmobil, schlief nachts auf Parkplätzen, während sie tagsüber in die Schule ging. Nach Stationen in Tschechien und Pforzheim landete sie schließlich gemeinsam mit ihren Eltern in Freiburg, da sie näher an der Schweiz wohnen wollten, wo Boryanas ältere Schwester hingezogen war. Viele Schulwechsel, fremde Sprache, immer wieder ein Neuanfang - Boryanas junges Leben ist geprägt von Bewegung und Wandel. Selbst das Studium der Fotografie war nur eine Station auf diesem Weg. Denn es war nicht die Kamera, die sie vorantrieb, sondern ein unerschütterlicher Wille - nichts konnte sie aufhalten. Und vielleicht war es genau diese bewegte Kindheit, die in ihr das Bedürfnis wachsen ließ, einen eigenen Ort zu schaffen. Etwas Beständiges, was sie für sich selbst gestalten kann.

Vom Zettel im Briefkasten zum Herzensprojekt

„Ich habe einfach gemacht“, erzählt sie. „Ich wollte ein Café schaffen, das nicht laut, nicht hektisch, sondern gemütlich ist.“ Ohne Startkapital oder Businessplan, dafür mit viel Mut und Selbstbewusstsein beginnt die Geschichte des „Goldenen Affens“. Nur durch ein paar Zeilen in den Briefkästen der Straßen der Mittelwiehre. „Ich hatte kein festes Konzept. Ich verteilte einfach Zettel, auf denen stand, dass ich 24 Jahre alt bin und ein Café eröffnen möchte“, lacht sie. Kurz darauf klingelt ihr Telefon, erinnert sich Boryana zurück. Einige Wochen später ist der Mietvertrag unterschrieben.

Im Januar 2020 öffnen sich das erste Mal die Türen des „Goldenen Affens“. An diesem Tag ist es kalt und nass in Freiburg. Doch in den vier Wänden von Boryana Hristova ist das Gegenteil eingezogen: goldene Deko, üppige Pflanzen, sanftes Licht. Überall im Café finden sich kleine Affenfiguren und Bilder. Manche schlicht, andere in glänzendem Gold. Sie schauten neugierig aus den Regalen und von den Fensterbänken, als wollten sie mit eigenen Augen die Geschehnisse des Cafés einfangen. Die Affen sind mehr als bloß Dekoration: Sie erzählten von Boryanas Erinnerungen, von der lebendigen Welt auf dem Mundenhof und geben dem Café einen ganz eigenen Charakter.

Es ist, als hätte jemand die Welt kurz angehalten. Es ist ein Ort, der nicht beeindrucken will, sondern berühren. Kein Lärm, genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte. Zu hören sind nur das Geräusch der Kaffeemaschine, das Klappern von Porzellan und leise Gespräche. Die Tische und Stühle, die nicht zusammenpassten, quietschten leise, wenn man sich setzte. Es läuft keine Musik, damit die Menschen ins Gespräch kommen können und sich nicht gestört fühlten.
Kurz darauf: Covid-19-Pandemie, doch Boryana hält durch. In den dunklen Tagen des Lockdowns, als die Straßen leerer und das Leben stiller wird, backte sie weiter und versorgte ihre Kundschaft. Viele der Gäste kommen regelmäßig. Junge Menschen mit Laptops, ältere Menschen mit Zeitungen, Berufstätige in ihrer Mittagspause, Studierende mit Büchern. Vom Bürgermeister der Stadt bis zur pensionierten Person, alle sind sie zu Gast. „Es waren viele da, die einsam waren“, erzählt sie. „Sie kamen, weil sie nicht allein zu Hause sitzen wollten. Und weil sie wussten, dass sie bei mir willkommen sind, egal ob sie etwas bestellen oder nicht.“ Boryana hat sich ein Wohnzimmer geschaffen und teilte es mit der Stadt. Ein Ort zum Entschleunigen, in einer Gegend, die immer schneller und teurer wird.

Freiburgs Kehrseite: Schön, grün – und gnadenlos teuer

Freiburg im Breisgau ist teuer. Die Mieten gehören zu den höchsten in Deutschland. Wer in dieser Stadt einen Ort zum Leben oder zur selbstständigen Arbeit sucht, braucht entweder viel Geld oder großes Glück. Nach außen gibt sich die Stadt als sehr offen, grün und alternativ. Doch hinter der schönen Fassade zeigt sich ein anderes, komplexeres Bild: Wer wenig Kapital mitbringt, wird an den Rand gedrängt. Was keinen Profit verspricht, verschwindet. Und das, was einst für die Gemeinschaft wertvoll war, verliert an Raum und Relevanz.

Diese Entwicklung ist Teil eines Prozesses, der als Gentrifizierung bekannt ist. Dabei verändern sich Stadtteile, wenn wohlhabende Menschen einziehen, Mieten und Preise steigen und sich Menschen mit geringem Einkommen die Gegend nicht mehr leisten können. Weder zum Arbeiten noch zum Leben. In häufigen Momenten werden diese Menschen verdrängt. Die Geschichte von Boryana verdeutlicht genau diese Entwicklung. Sie hat nicht aufgegeben,
sondern Räume geschaffen und Menschen zusammengebracht. Doch das reicht nicht. Denn am Ende zählt nicht, wie viel Herz ein Mensch investiert, sondern was der Raum wert ist. Und der wurde zu kostbar, um ihn weiterhin für soziale Wärme zu nutzen. Freiburg ist eine Stadt in der die sozialen Räume zunehmend verschwinden, in der Armut unsichtbar bleibt und in der die Gentrifizierung still und leise, aber wirksam arbeitet.

Das plötzliche Ende

Vier Jahre ist der „Goldene Affe“ die Arbeitsstelle von Boryana und das geliebte Wohnzimmer von vielen Bewohnenden des Viertels, aber auch den umliegenden Stadtteilen der Wiehre. Doch der Zauber hat ein Ablaufdatum. Im Dezember 2024 kommt das Aus. Die Arbeiterwohlfahrt, Besitzende des Gebäudes, kündigte den Mietvertrag. Das Café musste schließen, ohne Gespräche, ohne Begründungen - nur ein Brief im Briefkasten. „Ich hatte mit einer Mieterhöhung gerechnet. Aber mit einer Kündigung - nein, niemals.“ Kurz darauf: ein neuer Mieter. Er hatte schon die Schlüssel, als Boryanas Türen noch offen sind. Die traurigste Nachricht ist, wer die Räume übernehmen würde: kein soziales Projekt, keine Initiative für die Nachbarschaft - stattdessen ein etablierter Freiburger Unternehmer mit mehreren Standorten in der Freiburger Innenstadt. Wo bisher Gemeinschaft und Begegnung im Mittelpunkt stehen, sollte nun ein weiterer Betrieb mit wirtschaftlicher Ausrichtung entstehen. Was einst gelebt wurde, wird nun vermarktet. Für Boryana und ihre Kundschaft bleiben viele Fragen ohne Antworten. Die Nachricht trifft die Menschen wie ein Schlag. In den sozialen Medien und in Leserbriefen regte sich Protest. Für viele scheint es unverständlich: Warum musste ein solcher Ort verschwinden?

Der letzte Tag im „Goldenen Affen“ ist ein kühler Sonntag Anfang Dezember. Schon am frühen Morgen kommen die ersten Gäste und das Café füllt sich langsam. Nicht mit Bestellungen, sondern mit Liebe und Dankbarkeit. Viele bekannte Gesichter sind da, manche allein, manche mit ihrer Familie. Viele mit Tränen in den Augen. Sie umarmen Boryana wie eine gute Freundin und für viele ist sie das geworden. Immer wieder laufen Tränen über die Wangen, ohne das jemand versucht, sie zu verstecken. Die Umarmungen werden länger, als könne damit der Abschied aufgehalten werden. Es wird ein Abschied voller Wärme. Ein Tag, an dem Boryana all das zurückbekommt, was sie vielen Menschen über vier Jahre geschenkt hat. Ihr Nachbar spielt Gitarre, wie so oft bei Veranstaltungen in dem kleinen Hinterhof. Für einen kurzen Moment fühlt es sich nicht an wie ein Abschied. Eher wie ein Fest. Es wird gelacht, es wird geweint. Boryanas grüne Schürze hängt über einem Stuhl. Ihre Familie und ihre zwei Aushilfskräfte stehen an ihrer Seite, damit sie selbst die verbleibende Zeit mit den Gästen verbringen kann. Keine Schicht, sondern ein letzter gemeinsamer Tag. Hier verliert das Viertel nicht nur ein Café, sondern ein Stück Zuhause.

Ein Blick nach vorn

Boryana sitzt ruhig auf dem staubigen Sofa der Kampfsportschule ihres Mannes. Auf dem Tresen hinter ihr steht die Kaffeemaschine, für die sie viele Jahre gespart hat. Ihre Augen glänzen, wenn sie über die Geschichte und Schließung ihres Cafés spricht, doch glaubt sie an das Gute. Ihre positive Art konnte ihr nicht genommen werden: „Ich glaube, das hat mich auch ein bisschen gerettet, nicht emotional ganz runterzugehen, sondern eher so okay, jetzt muss ich mich auf das Baby konzentrieren.“ Boryana ist schwanger und bekam im Mai 2025 ihr erstes Kind. Sie ist sich sicher, dass sie trotz Schwangerschaft und Neugeborenem den „Goldenen Affen“ weitergeführt hätte. Und auch hindert sie das nicht daran, weiter zu suchen, nach einer neuen Location in der Umgebung.

Wenn man Boryana gegenübersitzt, spürt man: hier spricht jemand, der etwas macht, was weit über Kaffee servieren und Kuchen backen hinausgeht. Jemand, der Räume schafft. Jemand, der nicht nur arbeitet. Sondern jemand, der für Menschen, für Begegnungen, für Wärme sorgt.  Und wer weiß - vielleicht wird irgendwo wieder ein kleiner Hinterhof bunt bemalt, von Zimtduft erfüllt und trägt den Geist von Boryanas Traum weiter. Vielleicht nicht mit goldenen Affen. Aber mit genauso viel Seele und einer Frau hinter dem Tresen, die nicht Chefin ist, sondern Gastgeberin.
 

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